GUDRUN BRÜNE
BILD: SELBST MIT
BERNHARDS
SELBSTBILDNIS

Im Atelier von Gudrun Brüne

Märkische Allgemeine 08.04.2016

Die Malerin Gudrun Brüne lebt in Strodehne (Havelland) und pflegt längst eine eigenständige Bildsprache. Schon zu Lebzeiten ihres Mannes Bernhard Heisig hat sich mit ihren Werken emanzipiert. Eine Auswahl der Werke der gebürtigen Berlinerin, die Mitte März 75 Jahre alt wurde, wird ab 1. Mai in der Potsdamer Galerie Kunst-Kontor zu sehen sein.

Strodehne. Wenn die Sonne scheint, leuchtet das Atelier des hoch verglasten Hauses wie ein Kirchenschiff. Es riecht nach Öl, das ist der Rohstoff, der den weiten Raum mit Energie speist. Denn Gudrun Brüne hält sich Vorräte an Ölfarbe, und wer sich umschaut, sieht das Markenzeichen ihrer Arbeit: Puppenbilder. Helmut Schmidt, der alte Kanzler, hat ihr mal gesagt: „Damit haben Sie in der DDR Erfolg? Die gucken doch perfide, gar nicht optimistisch!“

Puppen als gebrochene Menschen

Gudrun Brüne malt die Puppen als gebrochene Menschen. Gliederpuppen, die ihre Kleider wie Staffage tragen, frei von Persönlichkeit. Es sind missbrauchte Kreaturen, und ihre Kulleraugen mögen niemanden zum Resümee verleiten, dass es in diesen Seelen einen freien Willen gibt. „Nach der Wende dachte ich, neue Bilder von den Puppen sind nicht nötig. Doch dann habe ich gemerkt, der Mensch ist auch im vereinten Deutschland nicht frei. Er wird manipuliert, zum Beispiel durch die Medien.“

Die Malerin Gudrun Brüne wurde am 15. März 75 Jahre alt, sie ist die Witwe des 2011 verstorbenen Malers Bernhard Heisig. Brünes Sätze klingen intuitiv, wie beiläufig formuliert. Dann wieder kann man sie als eine Form von Weisheit deuten, die sich stets reflektiert und fortwährend in Frage stellt. Mitunter liegt ein Zögern in der Stimme. Eine angenehme Nachdenklichkeit umweht sie, frei vom Duktus großer Maler, die sich als Fürsten inszenieren.

Die Natur putzt sich gerade heraus

Hinter den weiten Fenstern des Hauses fügt die Natur jetzt wieder ihre Puzzle-Teile ineinander. Hier singt die Lerche, dort thront ein Storch. Strodehne, weit westlich im Havelland, einen Steinwurf vor Sachsen-Anhalt, mischt die Palette neu. Auch Grün passt jetzt wieder ins Bild. Drinnen kocht Gudrun Brüne einen Kaffee und bittet zu Rhabarberkuchen.

So eigenständig die Bildsprache von Gudrun Brüne ist, so zwangsläufig kommt doch die Rede auf zwei große Männer, die mit ihr und Strodehne eng verbunden sind. Einerseits ist da natürlich Bernhard Heisig, der legendäre Mitbegründer der Leipziger Malerschule, der ihr Lehrer war und den sie später heiratete. Mit ihm, 16 Jahre älter, lebte sie zunächst in Leipzig. Als die Miete nach der Wende von 600 Ost-Mark auf 4300 West-Mark stieg, sagte Heisig: „Gudrun, das machen wir nicht mit, wir ziehen weg.“ Sie bauten 1991 ein Atelierhaus in Strodehne. Gudrun Brüne hatte sich schon Jahre vorher in der Nähe etwas angemietet, weil ein Freund ihr riet: „Komm her, die Landschaft ist so reich und weit!“

Im Atelier von Gudrun Brüne

 

Bildtext: Die Malerin Gudrun Brüne in ihrem Atelier in Strodehne (Havelland).

Saubere Form und weibliche Empfindsamkeit

Sie hat sich mit den Jahren stilistisch gelöst von ihrem Mann – er arbeitete temperamentvoll, konnte kaum genug Farbe auf den Pinsel bekommen, sein derber Gestus schuf ganz wundersam die zartesten Nuancen. Gudrun Brüne wiederum malt vorsichtiger, geht ins Symbolische. Wenn man so will, ist sie durchdachter, wählt die saubere Form und gibt sich weiblichen Intuitionen und Empfindsamkeiten hin.

Mitunter krachte es beim Malerpaar: „Es gab eine Zeit, da hat mein Mann zu mir gesagt: Du hast dich stilistisch von mir abgewendet! Ein andermal stellte er fest: Jedenfalls kann keiner behaupten, dass ich dich künstlerisch unterdrückt habe.“ Sie hätten sich „knallhart“ kritisiert, es flogen Türen, „doch es wurde nicht persönlich“.

Männer, die über Kunst dozieren

Als Frau war es trotzdem nicht immer leicht mit diesen Männern des Leipziger Kreises. Werner Tübke etwa, neben Heisig noch so ein Star, sagte ihr im Studium: „Glauben Sie ja nicht, dass Frauen in der bildenden Kunst Erfolg haben. Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz, das waren Ausnahmen.“ Erst später sah Brüne, dass Männer die Kunstgeschichte selbst schrieben und über die Kunst der Frauen einfach nicht berichtet haben.

Bernhard Heisig hat sich für das Dorfleben in Strodehne nicht besonders interessiert. „Er war hier, um zu malen. Er wollte keine Leute, die er nicht kannte, durch sein Atelier führen. Er sagte: Wenn die Menschen meine Bilder sehen wollen, sollen sie in die Ausstellungen gehen“, berichtet Brüne.

Ein Gast aber schaute häufiger in Strodehne vorbei, und dies ist eben der andere große Mann, der mit Brüne und Strodehne verbunden ist: Helmut Schmidt. Er war mit dem Malerpaar befreundet, seit dem Zeitpunkt, als Schmidt sich 1986 nach der Kanzlerschaft entschied, sein Porträt fürs Kanzleramt von Bernhard Heisig malen zu lassen. „Die Ständige Botschaft trat an uns heran und stellt den Kontakt her.“ Das Zentralkommitee der SED sagte, man würde erwarten, dass Heisig ablehne. Er aber meinte: „Ich lehne nicht ab, wenn schon, dann müssen Sie absagen.“

Vorm Besuch wurde sogar das Unkraut gejätet

Als Helmut Schmidt nach Leipzig kam, um sich malen zu lassen, gab es Aufregung. „Sogar das Unkraut vor unserem Haus wurde gejätet. Ich war befangen und wusste nicht mal, was ich zu essen anbieten sollte. Helmut Schmidt ist kein Mann, der auf Leute zugeht, wir standen nebeneinander und ich traute mich nicht, ihn anzusprechen“, erinnert sich Brüne. Schmidt betrachtete die Heisig-Bilder, auf einem stand ein Spruchband: „Wie ist doch alles so weise eingerichtet.“ Schmidt sagte, das stimme doch gar nicht! Gudrun Brüne hat geantwortet, das sei ja auch nur Ironie. „Unser Lachen hat den Bann gebrochen.“

Acht Stunden täglich im Atelier

Gudrun Brüne glaubt, „die Kunstausbildung im Osten ist besser als im Westen gewesen“, man habe in der DDR mehr wert auf klassisches Malhandwerk gelegt. Sie fasst das so zusammen: „Ich bin Malerin, und die Installationen ist nicht mein Ausdrucksmittel. Zu einem interessanten Inhalt gehört auch eine entsprechende Form – auf der Documenta in Kassel einfach Schweine in einen Schweinestall zu stellen, das für mich kein Kunstwerk, denn die Form ist mir zu naturalistisch.“

Sie kann das gänzlich Unbearbeitete nicht als Kunstwerk würdigen. Darum steht sie auch heute noch acht Stunden täglich im Atelier. Zwischendurch ein Spaziergang. Um zu schauen, wie die Natur vorankommt beim Erweitern der Palette.

Von Lars Grote

 

Artikel veröffentlicht: Freitag, 08.04.2016