AUSSTELLUNG: Spuren des Lebens
Bedrängend lebendige Frauenbilder von Clemens Gröszer im Kunstkontor in der Bertinistraße
Märkische Allgemeine 18.08.2010
Clemens Gröszers Frauen faszinieren, indem sie schockieren. Sie scheinen einem Marionettentheater entnommen, das ihr Spielfeld ist. Es ist eine Künstlichkeit, in die er sie verbannt hat, um sie – paradoxerweise – bedrängend lebendig zu machen. Er malt an gegen die mediale Diktatur einer hohlen, faden und charakterlosen Schönheit. Er weiß das Alltägliche, das eigentlich Unansehnliche eines Frauenkörpers zu kostbarer Form zu stilisieren. Seine Frauenkörper tragen die Zeichen gelebter Zeit
Das Interieur, in das er sie stellt, die Accessoires, mit denen
er sie umhüllt und verfremdet, ist in die Gegenwart geholtes
kunsthistorisches Vokabular. So werden seine in so scheinbar elitäre
und zeitlose Räume gestellten Akte zu Bildern mit
pointiert gesetzten historischen Botschaften. Hier aber kommt unübersehbar
Gröszers altmeisterliche Maltechnik ins Spiel.
Nicht nur das, was er malt, sondern eigentlich noch viel stärker,
wie er malt, macht den Genuss seiner Bilder aus.
All das ist auszumachen an der Reihe seiner Akte „Marin á
cholie“ – Leitmotiv künstlerischer Rechenschaft
im Dialog mit
Albrecht Dürers „Melancholia“. 1983 entstand das
erste Aktporträt seines Modells Marina. Diese Arbeit und das
sich in dieser Zeit profilierende Werk Gröszers war ein künstlerisch
brillantes wie provokantes Statement gegen kleinbürgerliche
Muffigkeit in den Wänden der DDR, bestraft mit Ausstellungsverbot.
Die „Marin á cholie“ von 2004, die zwölfte
Variante, hängt in der Gröszer-Ausstellung „Antlitz“
im Kunstkontor. Und wieder ist es ein in Bildmetaphern gefasster
Protest gegen den Zeitgeist und seine sichtbaren Auswüchse.
„Marin á cholie“ altert. Die Spuren des Lebens
an ihrem Körper machen ihre Schönheit aus.
Das Pendant zum Zeiten- und Lebenslauf Marinas findet sich in
der Galerie im Bildnis „Leoni“, eine Frau, die spurlos
verschwunden ist. Sie hatte sich zum Modellsitzen selbst drapiert,
um dem Maler zu zeigen, was Kreativität ist. Nichts ist
reine Phantasie. Gröszer malt nur das, was er sieht. Nur sieht
er eben mehr als ein flüchtiger und manipulierter Alltagsblick.
Ist es für den Betrachter nicht eine handfeste Mahnung, seinen
eigenen Blick wiederzufinden? Dann wird es wundersam still an den
Wänden.
Einen frischen Windhauch meint man zu spüren in dem Porträt der Künstler-Kollegin Heidi Vogel. In allen anderen Arbeiten steht die Luft still, scheint die Zeit angehalten. Hände sind bei Gröszer auf besondere Weise ein zweites Porträt und führen mitunter auch anatomisch ihr Eigenleben wie bei Heidi Vogel. Bei „Elke W.“ wird die Exklusivität des so sorgsam auf das Bild abgestimmten Rahmens besonders sichtbar. Zu beiden Seiten der madonnenhaften „Lydia“ entzücken zwei kleinformatige Aquarellzeichnungen, Meisterstücke der Zeichenkunst.
Von Arno Neumann