Die Schönheit der menschlichen Figur

Bettina Moras und Susanne Kraißer zeigen in der Galerie Kunstkontor ihre realistische Kunst

Potsdamer Neueste Nachrichten 14.05.2014

Mit großen Augen blickt uns Bettina Moras entgegen. Ihre Hände liegen tastend auf ihrem Bauch, dessen Wölbung das Heranwachsende erahnen lässt. Zierlich, fragend erscheint die Künstlerin auf dem Selbstportrait, das derzeit in der Galerie Kunstkontor zu sehen ist. Während Bettina Moras ihre Bilder vorstellt, zeigt Susanne Kraißer in der Gemeinschaftsausstellung unter dem Titel „ ...ganz schön weiblich“ ihre Skulpturen. „Malerei ist mein Leben“, sagt Bettina Moras, der Mensch sei ihr zentrales Thema. Eine Bleistiftzeichnung zeigt die Künstlerin, wie sie den Kopf leicht fragend neigt und mit der Hand stützt, während die andere Hand über ein Blatt Papier fährt. Nachdenklich, vielleicht melancholisch ist der Blick. „Nichts interessiert mich so sehr wie ein menschliches Gesicht“, so Bettina Moras. Tatsächlich lassen die Selbstporträts an das abgegriffene Wort von den Augen als dem „Spiegel der Seele“ denken, der den Betrachter wieder aufs eigene Bild verweist und auch zu seiner Selbstbefragung wird. Sie könne in der Malerei nicht lügen, beteuert Bettina Moras und ihre Bilder zeigen Offenheit und Verletzlichkeit. Der zweifelnde Blick und die zierliche Gestalt der Malerin stehen in einem seltsamen Kontrast zu der Art und dem Duktus ihrer Malerei. Mit kräftigen Farben, sehr selbstbewusst sind die teils pastosen, breiten Pinselstriche gesetzt. Eine gelbe Zitrone leuchtet entgegen, im Abflussbecken liegt ein Fisch, der noch zubereitet werden will.

„Was ich sehe, male ich“, sagt Bettina Moras. Daher würden ihre Bilder auch Auskunft über ihre Umgebung geben. Die Malerei ist vom Blick für das unspektakuläre, aber hübsch arrangierte Detail im bürgerlichen Haushalt geprägt. Die Stillleben sind keine sinngeladenen Arrangements, sondern Statements aus einem erfüllten Leben. Das Leben einer Mutter, pendelnd zwischen der Hingabe an die Kunst und die Kinder, eingespannt in vielfache Pflichten, wie die Galeristin Friederike Sehmsdorf betont. Auf einem Bild findet sich ein Bund Spargel und erinnert daran, dass schon Edouard Manet seine Aufmerksamkeit im 19. Jahrhundert dem Suppengemüse widmete. Nicht das Motiv adelt den Maler, sondern die Malerei, das hatten Künstler schon früh erkannt und sich abseits herrschaftlicher Prunkstillleben auch banalen Küchengegenständen zugewandt.

Nur selten verfremdet Bettina Moras ihre Motive wie bei einem Bild, das eine Berliner Stadtansicht mit rauschenden Meereswellen zeigt, die über einen Badeurlauber hereinbrechen. Die Erinnerung an Italien sei ihr bei dem Bild durch den Kopf gegangen, sagt sie. Die 38-jährige Künstlerin stammt aus Freiberg in Sachsen. An der Accademia di Belle Arti di Roma hat sie ihr Studium abgeschlossen, das sie in Grenoble begonnen hatte. Fast zehn Jahre hat sie in Italien verbracht, bevor sie nach Berlin zog. Das helle, warme Sonnenlicht Italiens scheint dem Betrachter aus ihren Bildern entgegen. „Ich male es so, wie ich es sehe“, so Bettina Moras. Dennoch wirken ihre Bilder expressiv und künden von der Leidenschaft für Malerei. Auch die Figuren von Susanne Kraißer trumpfen nicht mit großen Themen, sondern zeigen die intensive Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Detail. „Mädchen auf dem Stuhl“, „Klotz und Figur“ lauten die unspektakulären Titel.

In ihren Figuren spiegelten sich Polaritäten, sagt Susanne Kraißer über ihre Arbeiten. „Labilität und Stärke, Fragilität und Masse, Aktivität und Passivität, Bewegung und Statik, Balance und Volumen, die Motive prasseln auf mich ein“, so die Bildhauerin. Denn die Ausgangsfragen der Bildhauerei um Raum, Statik und Bewegung ließen sich auch bei der Betrachtung einer Bushaltestelle oder beim Schwimmen im Badesee erörtern. Zwar seien alle ihre Arbeiten Solitäre, dennoch würden sich beim Arrangement der Figuren im Galerieraum Beziehungen ergeben. Bei dem Figurenpaar „für Adam“ „von Eva“ hält der Mann den Apfel in der Hand. Den hat ihm offensichtlich die nebenstehende Eva überreicht. Das sei eine der seltenen geplanten Figurengruppen, weiß Kraißer. Es sind zumeist zierliche, weibliche Figuren, denen Susanne Kraißer ihre Aufmerksamkeit widmet. Sie entstehen nicht nach der Natur, sondern aus der Vorstellung der 36-jährigen Künstlerin. Sie habe die ersten Jahre ihres Studiums nahezu ausschließlich der Erforschung der natürlichen Erscheinung des Menschen gewidmet, sagt Susanne Kraißer. Die Oberflächen der Figuren künden vom Kampf um die Form. „Arbeitsspuren und Hiebe bleiben wie Narben einer Wunde zurück und verhindern, dass der Betrachter der Figur zu nahe kommt. Nur mit Abstand ist die Figur als solche zu erkennen, verringert sich dieser, löst sich die Figur auf und es bleibt reine Struktur zurück.“

In den Werken der Künstlerinnen spiegele sich „Ganzheitlichkeit, Schönheit und Weiblichkeit“, sagte Galeristin Friederike Sehmsdorf in ihrer Eröffnungsansprache. „Schonungslose Zugangsprotokolle zum Selbst“ erkennt die Galeristin in den Figuren und Porträts. Die Faszination der beiden Künstlerinnen für die figürliche Darstellung künde nicht zuletzt davon, dass nichts in der Kunst so sehr fessele wie das Bild des Menschen und das Abbild der Wirklichkeit. Dem habe auch der Dauerstreit der Moderne zwischen Figürlichkeit und Abstraktion nichts anhaben können.

Erschienen am 14.05.2014 auf Seite 20

Von Richard Rabensaat

Foto oben: Andreas Klaer