Blick in den eigenen Abgrund

Kai Hellbardts Bilder in der Galerie Kunst-Kontor

Potsdamer Neueste Nachrichten 14.05.2014

Maler haben ganz besondere Augen. Sie sind gerufen, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Kai Hellbardt aus Berlin ist darin Meister, wie man derzeit in der Galerie Kunst-Kontor von Friederike Sehmsdorf sehen kann – und das in zwei ganz unterschiedlichen Genres. Zum einen beherrscht Hellbardt die hohe Schule der Porträtkunst, doch dieser Mann wäre nicht Hellbardt, wenn da trotz hoher Ebenbildlichkeit nicht immer ein kleines Extra mit ins Bild geriete, ein real gar nicht vorhandenes Piercing im Gesicht einer Potsdamerin etwa. Der 1963 geborene Maler porträtiert nicht nur, er erzählt mit diesen Bildern zugleich Geschichten. Spinnte man die weiter, so ginge es darin ganz schön dämonisch zu – die exorbitante Schau in der Bertinistraße ist nicht grundlos mit „Heiter schwebt sich’s über’m Abgrund“ betitelt. Ab- oder besser hintergründig geht es bei vielen Arbeiten zu.

Sie haben sonderbare Titel, zum Beispiel „Morgenblau im Licht grandioser Lüste“, oder „Entfaltung einer neuen synthetischen Idee“. Vorderhand handelt es sich um flächig gemalte Bilder, in denen es von märchenhaften Wesen nur so wimmelt. Der Hintergrund ist in farblich reine Sektoren unterteilt, davor recken sich monströse Dämonen mit Menschengesichtern, die alle miteinander zu händeln haben. Manche metamorphosieren: Das Tier wird an einem Ende zum Menschen, eine botanische Ranke zum Tier, aus der Hand einer Puppe wächst neu ein blaues Mädchenköpflein heraus. Das alles ist wunderschön bunt, heiter und gefährlich zugleich. Man hat Hellbarths Innenwelt-Reisen vor sich, all das, was den Augen sonst unsichtbar bleibt. Seine Storys haben weder Anfang noch Ende, ähnlich wie ein Bild von Hieronymus Bosch, doch sie zeigen auf spielerische Weise, wie eines aus dem anderen wächst und entsteht, und dass alles im wahrsten Sinn zusammenhängt. Hatte der New Yorker Künstler Mark Lombardi Soziogramme der vernetzten Außenwelt geschaffen, handelt es sich bei Hellbarth eher um Psychogramme: schwirrende Ideen, Dämonen, Gedanken, Geister – da staunte sogar der Psychiater. Das alles im Kontext mit den realistischen Porträts ergibt tatsächlich ein anderes Bild vom wahren Proporz zwischen außen und innen. Die Wissenschaft kann so was nicht, nur die Kunst.

Erschienen am 17.04.2014 auf Seite 24

Von Gerold Paul