GRÜSSE NACH
ABSURDISTAN
BILD: AUFBLASBARE ÄRSCHE

Ikarus mit Kettensäge

Die Galerie Kunst-Kontor zeigt Bilder von Wasja Götze. Schon im Osten orientierte sich der Maler an der westlichen Pop-Art

Märkische Allgemeine 18.05.2013

In seinen Bilder legt Wasja Götze seine Sicht der Dinge eindeutig dar. „Aufblasbare Ärsche vom laufenden Meter, perforiert“ hat der Künstler bereits 1975 in der DDR ausfindig gemacht. Ein poppiges, quietschgelbes Hinterteil spannt sich über eine nicht recht erkennbare rosa Landschaft, die genauso gut ein Frauenkörper sein könnte. Ein Frauengesicht schwebt mit geschlossenen Augen am rechten Bildrand. „Grüße nach Absurdistan“ schickt der 72-jährige Künstler von der Galerie Kunst-Kontor in das nun wiedervereinigte Deutschland. „Deutschland jetzt erscheint ihm jedenfalls nicht weniger absurd als der geteilte Staat“, sagt die Galeristin Friederike Sehmsdorf.

Viele Maler der DDR pflegten zumindest formal den sozialistischen Realismus. Innerhalb der staatlich verordneten figurativen Malerei suchten sie nach Möglichkeiten, sich in Nischen mit verhaltener Kritik zu artikulieren. Wasja Götze aber schlug komplett aus der Art. Er war einer der ganz wenigen Künstler, die sich an der westlichen Pop-Art orientierten. Ob es außer Willy Wolf und dem Ostberliner Hans Ticha noch weitere gab, ist nicht sicher, bemerkt Friederike Sehmsdorf. Der sonderbar abgezirkelte Malstil erfordere eine ganz andere Herangehensweise als diejenige, die mit großer Geste von Malern wie Willi Sitte oder Bernhard Heisig praktiziert und gelehrt wurde.

Der gelernte Gebrauchsgrafiker Wasja Götze, der von 1962 bis 1968 an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle studierte, fertigte für seine Bilder zunächst einmal eine bis ins Detail ausformulierte Bleistiftzeichnung. Diese übertrug er auf die Leinwand und wich nicht ein Jota von der in Aussicht genommenen Bildgestaltung ab. Sein Themenkanon griff zwar gängige Motive des sozialistischen Staats- und Formenrepertoires auf, wie beispielsweise den abgestürzten Ikarus in „Anlaß (A) und Ursache (B) für Aufstieg und Fall des Herrn Ikarus“ (1984). Wasja Götze lässt den Himmelsstürmer aber an der innerdeutschen Mauer scheitern. Die Figur verschwindet nicht in vager Melancholie, sondern illustriert eindeutige Systemkritik.

Andere Bilder sind nicht minder klar, so bespielsweise „Strahlendes Ei oder Der fünfte Reiter (Tschernobyl)“. In einer Anspielung auf die apokalyptischen Reiter der Johannesapokalypse, die schon Albrecht Dürer faszinierten, inszeniert Götze ein weinendes Pferd, am Boden liegende, zerrissene Gliedmaßen und einen Reiter, der ein strahlendes Atomei in der Hand hält. Das wird den Funktionären der SED nicht gefallen haben. Schließlich beschränkte sich nach offizieller, sozialistischer Lesart der atomare Fallout nach der Reaktorkatastrophe auf den Westteil Deutschlands und stoppte genau am „antifaschistischen Schutzwall“. Auf dem Bild „Der Colgate Kenner“ (1987) finden sich Anspielungen auf den Warenmangel in der DDR: Rudimente des Schriftzuges „Intershop“, eine „Colgate“-Zahncreme, die im sozialistischen Warensortiment nicht existierte. Dennoch ist das Bild keine Anklage, sondern eher ein poppig bunter Realitätscheck.

In Halle, wo Götze lebte und arbeitete, habe sich eine „lebensfrohe und phantasievolle Szene in zahllosen Festen und Partys miteinander verbündet“, weiß Paul Kaiser, der den Katalogtext geschrieben hat. Die Burg Giebichenstein sei das Zentrum gewesen. An der unterrichtete Wasja Götzes Frau Inge als Professorin für Textilkunst. Daher war es zwar unangenehm, aber nicht ruinös, dass Ausstellungen Wasja Götzes häufig vorzeitig geschlossen wurden. Seine Unternehmungen, sich als Wandermusikant zu etablieren, fruchteten ebenfalls nicht so recht. Es drohte die Ausbürgerung, was vermutlich nicht an der Qualität der Darbietung, sondern am Inhalt der Lieder lag. Ein Vermerk in seinem Pass beschränkte Götzes Aktionsradius fortan auf die unmittelbare Umgebung.

Nachdem Wasja Götze realisiert hatte, dass seine Kunst in der Demokratischen Republik nicht erwünscht war, wandte er sich verstärkt dem Rennsport, oder wenigstens dessen Material zu: Er pflegte hingabevoll seine Sammlung italienischer Rennräder. Dennoch war die Stasi auf der Hut und mutmaßte gar, der Künstler wolle in einem Heißluftballon über die Grenze flüchten. Wasja Götze aber organisierte weiterhin Hofausstellungen. Bei denen gab es improvisierten Jazz und „kritisches Puppenspiel“. Das alles führte dazu, dass staatstragende Kunstwissenschaftler befanden, Götze wende „sich mit bewusster Bösartigkeit gegen unseren Staat und unsere Gesellschaft, insbesondere gegen die Freundschaft der SU“.

Bilder, die nach dem Fall der Mauer entstanden, lassen dennoch kein großes Aufatmen erkennen. Sie zeigen ein buntes Durcheinander an versammelten Konsumgütern und ein Absperrband, hinter dem ein Mann vor einem Fernseher sitzt. Der Bildtitel gibt Auskunft, dass der Mann nicht verreisen möchte (2007). Der „Besuch beim Onkel oder Tanz der Motorsäge“ erinnert eher an ein Konsumgemetzel als an ein Warenparadies, dies allerdings in farbenprächtigem und dabei erstaunlich nuanciertem Gewand. Dem solitär gepflegten Popart-Stil ist es vermutlich geschuldet, dass Götze von der neuerlichen Würdigung der Großmaler der DDR bisher nicht übermäßig profitiert, die hohe Qualität der Bilder jedenfalls ist unbestreitbar.

 

Erschienen am 18.05.2013 auf Seite 03

Von Richard Rabensaat