IN MEMORIAM:
HAGEN VOSS
BILD: VERHÜLLUNGEN

Alles ist verhüllt, alles ist gesichtslos

Kunstkontor eröffnet mit „In memoriam Hagen Voss“ eine Ausstellungsreihe mit künstlerischen Nachlässen

Märkische Allgemeine 18.02.2013

So kann es gewesen sein, als Orpheus in die Unterwelt stieg, um Eurydike ins Leben zurückzuholen. Begleitet und bedrängt wird er von gesichtslosen Gestalten unter wallenden Tüchern. Ein gutes Dutzend Zeichnungen, stilistisch einzuordnen ins 19. Jahrhundert, füllt Szenenbildern eines antiken Dramas gleich die Wände im Kunstkontor. Immer wiederkehrendes Motiv sind aufwendig arrangierte, virtuos zur Faltung gebrachte Tuchgebirge, in denen sich menschliche Figuren erahnen lassen. Alles ist verhüllt, alles ist gesichtslos. Alle Arbeiten haben das gleiche Format von etwa 45 mal 35 Zentimeter. Es sind Federzeichnungen, handwerklich höchst aufwendig gemacht und kaum 20 Jahre alt.

Hagen Voss hat sie zwischen 1980 und 1995 geschaffen, „freihändig und nur mit Hilfe eines Malstockes, um die Hand ruhig zu halten“, wie Renate Voss, die Frau des 2010 verstorbenen Künstlers, erläutert. „40 bis 45 Stunden hat er an einem Blatt gearbeitet“. Es ist atemberaubend, mit welcher Perfektion Hagen Voss hier gezeichnet hat. Hell-Dunkel-Partien sind in präzisen Schraffuren angelegt, linear oder gekreuzt. Jeder Strich ist gleich stark, Abstände zwischen den Linien auf den Millimeter genau. All das dient naturalistisch anmutenden, so in der Realität jedoch kaum anzutreffenden Faltenwürfen, die sich zu Gebirgen türmen. Hagen Voss hat den Klassizismus überholt und eingefroren.

Renate Voss berichtet von dem Wunsch ihres Mannes, „dass jeder beim Betrachten selbst entscheiden solle, was sich hinter dem Verhüllten verbirgt“. Dieser Zugang dürfte bei den farbigen Arbeiten leichter sein, ist doch die emotionale Ausstrahlung durch eine eigenwillige Farbigkeit mit einem intensiven Rot in Beziehung zu dunklem Violett weitaus stärker als bei den Federzeichnungen.

Die Ausstellung mutet an wie ein selbstgeschaffenes Requiem. Im Jahr 1935 wurde Hagen Voss in Sondershausen geboren. Aufgewachsen in Güstrow, studierte er Anfang der 1950er Jahre an der Meisterschule für Kunsthandwerk/Hochschule der Künste in Berlin. Nach dem Staatsexamen entwickelte er freiberuflich eine außergewöhnliche Vielseitigkeit als Ausstellungsarchitekt, Maler, Grafiker und Bildhauer. Im Atelier standen mehrere Staffeleien, an denen er oft gleichzeitig arbeitete. Sieht man nur seine Arbeiten im Kunst-Kontor, so scheint kaum glaubhaft, dass er freundliche Landschaften in bester naturalistischer Malerei auf die Leinwand brachte. Seit 1990 lebte das Ehepaar auf Ibiza und führte dort eine gut gehende Galerie.

Kunstkontor-Galeristin Friederike Sehmsdorf beginnt mit dieser Ausstellung eine Reihe „In memoriam“ mit kurzzeitigen Expositionen aus künstlerischen Nachlässen.

 

Erschienen am 18.02.2013

Von Arno Neumann