IN MEMORIAM:
HAGEN VOSS
BILD: VERHÜLLUNGEN

Heraus aus dem Schattenreich

Nachlässe von Künstlern

Potsdamer Neueste Nachrichten 16.02.2013

Lebenswerke von Künstlern sollten nicht in irgendwelchen Ecken schmoren: Mit „in memoriam: Hagen Voss 1935–2010“ beginnt das Kunst-Kontor eine neue Ausstellungsreihe.

Warum wendet sich eine Galerie den Nachlässen von Künstlern zu? Eigentlich sind doch Museen die Anwälte der Verstorbenen. Oder gibt es nicht genügend lebende Künstler, die für spannende Ausstellungen sorgen könnten? Friederike Sehmsdorf verneint rigoros. Natürlich richtet sich das Hauptaugenmerk ihres Tuns auch weiterhin auf den zeitgenössischen Markt mit seinen durchaus bemerkenswerten Handschriften. Aber ihre Galerie, die sie jetzt vom Forum für zeitgenössische Kunst in Forum für zeitlose Kunst umbenannt hat, möchte künftig beides vereinen. Die aktuelle Kunst, die über Tagesmoden und Trends hinausweist und die Schätze der Vergangenheit.

Dazu gibt es die neue Reihe „in memoriam“, die ein- bis zweimal im Jahr das Lebenswerk von Künstlern posthum öffentlich macht und ab jetzigem Wochenende mit Hagen Voss (1935-2010) seinen Anfang nimmt. Immer wieder bekommt die renommierte Kunsthistorikerin Hinweise auf Lebenswerke, die irgendwo in der Ecke schmoren. Oder aber ihr Sachverstand wird angefragt, wenn Häuser entrümpelt werden und sich auf dem Dachboden plötzlich Kunstwerke auftun, dessen Wert niemand so richtig einzuschätzen weiß. Friederike Sehmsdorf hat schon einige Bilder vor dem Sperrmüll retten können.

Für ihren „memoriam“-Auftaktkünstler Hagen Voss, der in Güstrow aufwuchs, seine letzten 20 Schaffensjahre auf Ibiza verbrachte und in Berlin verstarb, gab es indes den Hinweis von einer ambitionierten Sammlerin. Die Potsdamer Unternehmerin Martina Goetz-Kaufmann, die selbst Arbeiten von Hagen Voss besitzt, trat an Friederike Sehmsdorf heran, ob sie nicht dessen vielschichtiges Werk präsentieren könnte. Die Kunsthistorikern war begeistert von dem Ouvrée, vor allem von dem Zyklus „Verhüllungen“ und die sorgsam ausgeführten Federzeichnungen, die in ihrer Stringenz an die Kunst des 18. Jahrhunderts erinnern. „Der Mythos und die Aura der antiken Theaterwelt verbinden sich bei Voss mit einer hohen Abstraktion“, so die Galeristin. Diese Ausstellung ist aber auch ein Austesten. So wird erst einmal konzentriert an nur sechs Tagen dieser Nachlass gezeigt. „Sollte ein größeres Interesse bestehen, kann ich den Zeitraum noch ausdehnen.“ Die Arbeiten gehören Renate Voss, der Witwe des Künstlers, und sie sind auch käuflich. Die aufwändigen Federzeichnungen kosten um die 1500 Euro, die wenigen Gemälde sind entsprechend teurer.

Nicht immer steht, wie in dem Fall Hagen Voss, eine enthusiastische Sammlerin hinter den Arbeiten der verstorbenen Künstler. „Manchmal kräht schon nach kurzer Zeit kein Hahn mehr nach ihnen. Und dabei gibt es so tolle Lebenswerke.“ Man muss sie eben nur entdecken oder darauf gestoßen werden. Vor Kurzem konnte Friederike Sehmsdorf mit ihrer Begeisterung auch das Potsdam-Museum anstecken, als sie eine Schenkung von Bildern aus dem Nachlass von Angela Brunner vermittelte. Kaum einer wusste, dass diese Schauspielerin, einst im DDR-Fernsehen bekannt als „Frau Puppendoktor Pille“, auch gemalt hat. „Eine versierte Künstlerin mit einer sehr guten Ausbildung“, so Friederike Sehmsdorf. Kunden von ihr hatten das Haus der 2011 verstorbenen Angela Brunner, die in Kleinmachnow mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Walter Kaufmann, gelebt hatte, gekauft. Und die wussten nicht, ob diese Bilder von Bedeutung seien. Angela Brunner hatte nur für sich gemalt und nie den Ehrgeiz gehabt, auszustellen. „Es ist natürlich interessant, wie frei jemand malt, der finanziell abgesichert ist, keine Ausstellungen nötig hat und der auch keine Kompromisse mit der DDR-Obrigkeit eingehen musste.“ Diese Werke erzählten ganz viel über die Befindlichkeit einer Künstlerin, die zugleich auch Mutter war. „Es sind berührende Arbeiten über ihre Kinder dabei.“ In einer ihrer nächsten „in memoriam“-Ausstellungen wird Friederike Sehmsdorf diese einst im Verborgenen malende Künstlerin ganz sicher in die erste Reihe holen.

Im kommenden Jahr wendet sich die Galeristin dem Spätimpressionisten Armin Reumann (1889- 1952) zu, der in seiner Bedeutung mit Max Liebermann oder Max Slevogt vergleichbar ist. Dieser Maler aus Sonneberg, der in einer Spielzeugmacherfamilie groß geworden ist, war schon als junger Mann berühmt. Als er in den Ersten Weltkrieg zog, wurde er als Kriegsmaler dafür abgestellt, für Zeitungen zu zeichnen. Er überlebte psychisch angeschlagen das Schlachtfeld. Anlässlich der 100. Wiederkehr des Ersten Weltkrieges im kommenden Jahr möchte die Galeristin diese Kriegszeichnungen vorstellen. „Kunst lebt nur, wenn sie immer wieder betrachtet wird, sonst fällt sie dem Vergessen anheim.“ Davor möchte die Galeristin sie bewahren. Sie möchte ihnen Raum geben über die Lebenszeit der Künstler hinaus. Denn mit jedem Bild, das wieder an die Wand kommt, lebt das Erbe weiter.

Warum aber sind diese Künstler heute weitgehend vergessen? „Weil viele gar nicht darauf orientiert waren, in Museen zu kommen“, glaubt Sehmsdorf. Sie lebten von ihrer Kunst und das genügte ihnen. Wie Hans Voss oder auch Armin Reumann, der ganz bescheiden in seine Thüringische Heimat zurückgekehrt ist. „Viele Künstler, die heute die Hochschulen verlassen, wissen zwar nicht, wie man einen Apfel zeichnet, dafür sind sie aber ihre eigenen Marketingprofis. Das spielte früher keine Rolle. Die meisten Künstler waren eher introvertiert“, so die Erfahrung der Kunstwissenschaftlerin.

Sie sieht sich ein bisschen auch als Mittler und möchte nicht nur in eigenen Ausstellungen an verstorbene Künstler erinnern, aus deren Werken noch immer eine große Frische und Kraft herüberweht. Sie möchte Museen interessieren. Die meisten haben wenig Geld zum Ankauf von Kunst. Deshalb regt Friederike Sehmsdorf die Nachkommen dazu an, Werke an Museen zu verschenken. „Die sind oft froh, die Werke nun in guten Händen zu wissen.“ So verschwindet es nicht im Nirwana.

 

Erschienen am 16.02.2013 auf Seite 02

Von Heidi Jäger