VON DER MUSE DOPPELT GEKÜSST:
ARMIN MÜLLER-STAHL & STRAWALDE
BILD: STRAWALDE

„Von der Muse doppelt geküsst“ – Armin Mueller-Stahl und Jürgen Böttcher, Künstlername Strawalde, in der Galerie Kunstraum

Potsdamer Neueste Nachrichten 15.10.2011

Am Anfang wird er wohl wieder nur dastehen und zuschauen und zuhören. Ein wenig wirkt er dann fast so, als wolle er gar nicht dazugehören. Aber vielleicht wird Jürgen Böttcher am morgigen Sonntag bei der Eröffnung der Ausstellung „Von der Muse doppelt geküsst“ doch noch das Wort ergreifen. So wie er es am gestrigen Freitag bei einer Vorbesichtigung in den Räumen der Galerie Kunstraum tat. Und dann lasst ihn reden! Denn dieser Mann kann Geschichten und Geschichte erzählen!

Jürgen Böttcher, Künstlername Strawalde, und Armin Mueller-Stahl, das sind die von der Muse doppelt Geküssten, deren Werke ab morgigen Sonntag in der Galerie Kunstraum zu sehen sind. Zwei Künstler, die sowohl dem filmischen als auch dem Medium der Malerei verfallen sind. Und das auf herausragendem Niveau. Wobei Armin Mueller-Stahl derjenige von beiden ist, dessen Namen in der breiten Öffentlichkeit den größeren Klang hat. Strawalde dagegen, Filmemacher, Maler und Dichter, gilt es für viele noch zu entdecken. Und ein wenig auf eine solche Entdeckung ist auch die Ausstellung „Von der Muse doppelt geküsst“ angelegt.

Während im großen, von Licht durchfluteten Raum hin zur Schnellstraße das schriftstellerische Werk am Beispiel von „Der Gaukler“ von Armin Mueller-Stahl auf großer Pappwand auf weißem Untergrund fast schon prophetisch wirkt, hängen die Verse von Strawalde auf weißem Papier gerahmt im Obergeschoss fast schon versteckt. Auf Höhe von Kinderaugen, wie es die räumlichen Gegebenheit, hier unter dem Dach erzwingen.

„Ich bin schon Gaukler über fünfzehn (sechzich) Jahr / Bin Tragöde bin der Narr / Bin der Bettler bin der Könij“, heißt es im schönsten Berlinerisch im „Gaukler“. Und die Gemälde, die links und rechts neben dem im Kunstraum als riesenhaftes Mauergedicht präsentierten Reimungetüms hängen, spielen mit diesem Gauklermotto. Links hängen Künstlerporträts des Cellisten Mstislaw Leopoldowitsch Rostropowitsch, des Saxofonisten Maceo Parker und des Komponisten Franz Liszt, auf der rechten Seite unter anderem zwei Bilder aus der Reihe „Urfaust“, eines untertitelt mit „Jahrmarkt der Eitelkeiten“. Gezeigt wird ein düsterer, entblößter und entstellter Reigen menschlicher Lächerlichkeiten. In der oberen Ecke steht, mit Pinsel geschrieben, fast übersieht man es: „Kriegsbeginn Bush Saddam“. Aktueller Bezug im Jahr des Entstehens 2003, als der dritte Golfkrieg begann. Wer den Raum wieder verlässt, entdeckt die beiden ganz persönlichen Gemälde neben dem breiten Ausgang. Nebelhafte Szenen mit Titeln wie „Umzug aus der DDR (1979)“ und „Reminiszenz von 2008: 1979-1995“.

Dieser Raum, in dem sich in wenigen Bildern das Leben, sowohl persönlich als auch künstlerisch, des Schauspielers, Malers und Musikers Armin Mueller-Stahl abspielt, gehört zu den beeindruckendsten Momenten in dieser Ausstellung. Da wird ein Großer in einem großen Raum präsentiert. Und wie in den eher zurückhaltenden Gemälden mit der subtilen, mueller-stahlschen Farbsprache, die so klar und schonungslos bis ins Tiefste forscht, dabei aber immer die Distanz wahrt, die Offenlegung von Bloßstellung unterscheidet, so ist auch dieser Raum für Armin Mueller-Stahl gestaltet. Und man fragt sich, ob es bisher je einer Ausstellung gelungen ist, den Künstler in seinen zahlreichen Facetten so verdichtet auf den Punkt zu bringen.

Im anderen großen Raum zum Schirrhof hin sind die großformatigen Gemälde von Strawalde zu sehen. Kraftvoll und klar und frech wie die Porträts „Anna“ oder „Gainsboroughs Tochter“; wild und ausgelassen und verspielt wie „Tapanta II“. Den Raum dominiert „Vertriebene“. Drei dunkelhäutige Frauen und ein Kind, die vom Schatten in das Licht treten. Hoffnungsvoller Übergang, den Strawalde hier andeutet, obwohl die Gesichter der Frauen von Skepsis geprägt sind. Ihre farbenfrohen Gewänder scheinen dagegen das Hoffnungsvolle wieder aufzugreifen.

Das Politische ist in den Gemälden sowohl von Strawalde als auch von Armin Mueller-Stahl präsent. Offensichtlich und nicht zu übersehen. Was die Bilder dieser beiden Künstler aber auch zeigen – nicht so klar und deutlich wie das Politische – sind die gesellschaftlichen Umbrüche und persönlichen Übergänge und somit auch die eigenen Erfahrungen. Während Strawaldes „Vertriebene“ auch als Metapher auf die Wendezeit von 1989 zu lesen ist, greift Mueller-Stahl in „Umzug aus der DDR (1979)“ die eigene Übersiedlung in die Bundesrepublik auf.

Ein dunkles Nebelgrau prägt dieses Bild, in dessen unterer Bildmitte, fast verwischt, ein leerer Stuhl steht. „Reminiszenz von 2008: 1979-1995“ zeigt mehrere solcher leerer Stühle. Auch in diesem Nebelgrau. Doch die Stühle sind jetzt deutlicher zu erkennen, kommt hier verstärkt Farbe ins Spiel. Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, das Zurücklassen eines vertrauten Ortes und das Entdecken neuer Orte. Und doch bleibt die Unsicherheit, wo man denn nun hingehört. Ein Nebel, der sich manchmal nie lichtet.

Bei den ersten Gedankenspielen für diese Doppelausstellung hatte man noch an eine Durchmischung der Arbeiten von Strawalde und Mueller-Stahl gedacht, sagte Galeristin Friederike Sehmsdorf am gestrigen Freitag, die zusammen mit Katja Dietrich-Kröck vom Kunstraum „Von der Muse doppelt geküsst“ organisiert hat. Doch schon bald sei klar geworden, dass die Arbeiten der beiden Künstler jeweils getrennt voneinander gezeigt werden müssen. Ein künstlerisches Werk, so vielfältig sowohl im Film als auch in der Malerei, das, so Friederike Sehmsdorf, Bestand haben wird. Und da schaltet sich auch Strawalde in das Gespräch ein.

Verwegen nennt er diese Ausstellung, die ihn und Armin Mueller-Stahl zusammen zeigt. Er weiß, dass hier vor allem der Name des bekannten Schauspielers die Gäste locken wird. Aber Strawalde, einer der prägendsten und einflussreichsten Dokumentarfilmer und Künstler in der DDR und dementsprechend auch immer mit Verboten belegt gewesen, weiß um den Wert seiner Arbeiten. Und dann erzählt er Anekdote um Anekdote aus seiner Zeit aus der DDR, durchblättert den Ausstellungskatalog, erklärt, beschreibt und beginnt, mit den Händen in der Luft zu malen. Ein wilder, frecher Kerl noch immer mit knapp 80 Jahren. Und dann liest er einen seiner zahlreichen Limmericks: „Ein barocker Barhocker / kinderlos / menschenleer / wissenschaftlich verliebt / in honigfarbene Gurkengläser / faselte Schwartenunarten / marinierter Kirrklings / rheinwärts mittig – und überhaupt.“

Klar, das klingt mächtig blödsinnig. Aber wenn der Strawalde das liest, da kommt Freude auf! Also lasst ihn reden!

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog

von Dirk Becker

Bild entnommen pnn http://www.pnn.de/potsdam-kultur/586329


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